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Literaturübersetzen in Zeiten von KI

Exkursion nach Salamanca (17.-24.11.2024)

Hintergrund

Das Übersetzen von Literatur ist eine komplexe und höchst anspruchsvolle Tätigkeit, die ein Höchstmaß an sprachlicher Sensibilität und Kreativität erfordert. Literarische Texte sind sprachliche Kunstwerke, und ebenso ist das Übersetzen eine Kunst. Beides hat Anteil daran, dass Sprache als Kulturgut belebt wird.

Wer Literatur übersetzt, wird dafür jedoch meist nicht in ausreichendem Maße finanziell honoriert. Im europäischen Vergleich wirken sich die jüngeren Krisensituationen (z.B. Finanzkrise in Spanien, europäische und globale Krisenherde) gerade in den südlichen Ländern noch zusätzlich stark auf die berufliche und finanzielle Situation von freiberuflich tätigen Literaturübersetzenden aus (Links zur stark sinkenden Zahl an Buchpublikationen auf dem deutschen und dem spanischen Buchmarkt). Die Honorare stagnieren oder sinken sogar.

Die hohen Erwartungen, die mit den sprachlichen Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz als vermeintlich bahnbrechender Perfektionierung von maschinengestützter Übersetzung verschärfen dieses Problem weiter: Es verbreitet sich die Ansicht, auch Literatur könne maschinell übersetzt werden und als ließe sich der menschliche Anteil daran auf das Post-Editing, also die Nachbearbeitung maschinell übersetzter Werke, beschränken. Angehende Literaturübersetzende müssen daher auch in einer „Machine Translation Literacy“ geschult werden und sich angesichts dieser neuen Entwicklungen intensiv und kritisch mit den Chancen und Gefahren von KI für den Beruf auseinanderzusetzen, um sich hierzu positionieren zu können. Für Lehrende und Forschende in diesem Bereich entstehen durch diese Entwicklungen ebenfalls ganz neue Herausforderungen.

Projekt

Im Projekt „Literaturübersetzen in Zeiten von KI” sollen Übersetzungsstudierende, Doktorand:innen und Postdoktorand:innen der Universitäten Düsseldorf und Salamanca gemeinsam mit Lehrenden und Vertreter:innen der Berufspraxis die Möglichkeiten und Gefahren der Übersetzung mit KI erkunden und so für die damit verbundenen Chancen, aber auch die Fallstricke sensibilisiert werden. Dafür reisen zehn Studierende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gemeinsam mit Vera Elisabeth Gerling nach Salamanca, um sich dort gemeinsam mit spanischen Studierenden und der zweiten Projektleiterin Belén Santana über das Thema KI und Übersetzen auszutauschen. Die Veranstaltung gliedert sich ein in ein größer angelegtes Projekt zur Didaktik des Literaturübersetzens.

Vor Ort werden Goedele de Sterck und José Bustos, beide Dozierende der Universidad de Salamanca mit ihren Vorträgen zu Einsatzmöglichkeiten von KI beim Übersetzen und Arbeitsformen des Post-Editings Impulse für die Diskussionen und Übersetzungsworkshops geben. Weiterhin wird ein Gespräch stattfinden mit einer freiberuflichen Lektorin über den Umgang mit Texten in der Verlagspraxis. Gemeinsam mit Studierenden soll ein Podcast zum Thema entstehen und eine öffentliche Veranstaltung organisiert werden.

Zwei freiberufliche Übersetzer:innen werden während der Woche Übersetzungsworkshops leiten und gemeinsam mit den Studierenden arbeiten und diskutieren. Beide bringen jeweils ein Buch mit, das sie selbst übersetzt haben und das ganz besondere Übersetzungsherausforderungen bietet.

Gäste

Während der Woche bereichern diese beiden Gäste das Programm:

Friederike von Criegern übersetzt Lyrik, Belletristik und Theater aus dem Spanischen und ist freie Dozentin für Literatur und Übersetzen. Sie promovierte in Göttingen über chilenische Lyrik. Die Übersetzung von Nona Fernández‘ Theaterstück Mädchenschule war für den Deutschen Jugendtheaterpreis nominiert. Nach Aufenthalten in Chile, Peru und Argentinien lebt sie in Berlin. Sie bringt den Roman Lectura fácil der spanischen Autorin Cristina Morales mit nach Salamanca, den sie unter dem Titel Leichte Sprache ins Deutsche übersetzt hat. Roman und Übersetzung wurden im Jahr 2022 in Berlin mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet.

Ibon Zubiaur ist Übersetzer und Essayist, spezialisiert auf DDR-Literatur und queere Traditionen. Von2008 bis 2013 war er Leiter des Instituto Cervantes in München, zudem hat er lange Zeit n Berlin gelebt. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Pioneros de lo homosexual („Die Pioniere der Homosexualität“, 2007), Al otro lado del Muro („Auf der anderen Seite der Mauer”, 2014), Estímulo y censura („Impulse und Zensur”, 2022) und zahlreiche Übersetzungen, von Magnus Hirschfeld bis Kim de l'Horizon. Er bringt sich mit seiner Übersetzung des Romans Blutbuch von Kim de l’Horizon ein, das auf Spanisch unter dem Titel Libro de sangre erschien. Das Buch wurde im Jahr 2022 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

 

Die Exkursion nach Salamanca wird finanziert vom DAAD-Programm Hochschuldialog mit Südeuropa aus Mitteln des Auswärtigen Amtes.

Dokumentation

Die Exkursion startete für die Teilnehmenden aus Düsseldorf am Sonntag, den 17. November 2024, am Flughafen Düsseldorf. Ab Madrid ging es dann mit dem Bus gemeinsam mit der Berufsübersetzerin Friederike von Criegern aus Berlin in Richtung Salamanca, wo alle von Belén Santana und ihrer Doktorandin Susana Schoer Granado empfangen wurden. 

Das offizielle Programm startete dann am Montag, gemeinsam mit den Studierenden der Universität Salamanca (USAL). Nach einem ersten Kennenlernen wurde mit der Arbeit an Textausschnitten aus den beiden Romanen begonnen. Im Laufe der Woche konnten für die Übersetzung vom Spanischen ins Deutsche bzw. vom Deutschen ins Spanische besonders aufschlussreiche Textstellen besprochen werden, mit der Möglichkeit, Fragen direkt an die Übersetzungsprofis Zubiaur oder von Criegern zu stellen. Dabei ging es um die verschiedenen Erzählstimmen in beiden Romanen, um Dialekte und Soziolekte, um Fragen zum Umgang mit Genderidentitäten, oder auch um Syntax und Wortwahl. Auch für den weiteren Verlauf des Seminars waren die beiden Romane die Grundlage für die Übersetzungsarbeit und das Experimentieren mit Tools und KI-generierten Übersetzungen. 

Drei weitere Gäste aus Salamanca bereicherten inhaltlich das Seminar: Am Dienstag stellte Sprachwissenschaftlerin und Literaturübersetzerin Goedele De Sterck (USAL) in ihrem Gastvortrag verschiedene Übersetzungsprogramme, Chatbots und weitere Tools vor und thematisierte deren wachsende Relevanz in der Diskussion um die Nutzung künstlicher Intelligenz bei der Literaturübersetzung. Übersetzende sollten sich bei diesem Thema auf keinen Fall unzugänglich zeigen, sondern lernen, wie sie die KI bedacht als Hilfsmittel für sich nutzen könnten. In den Arbeitsphasen der nächsten Tage hatten die Student:innen die Möglichkeit, Tools auszuprobieren und ihre Vor- und Nachteile kennenzulernen. Der Gastvortrag von José Bustos (USAL) am Freitag thematisierte die Überarbeitung KI-generierter Texte. Er plädierte für einen angemessenen und kontrollierten Gebrauch von technischen Hilfsmitteln in der Übersetzung. Für Bustos ist klar, dass sich das Konzept der literarischen Sprache weiterentwickle, aber trotzdem KI nie im Zentrum der Übersetzung stehen solle, die Verantwortung müsse weiterhin bei den Menschen liegen. Er stellte Originaltexte und KI-generierte Übersetzungen gegenüber, um aufzuzeigen, dass z.B. ChatGPT nicht wie ein Mensch denken könne, sondern nur die bereits vorhandenen Informationen verarbeite. Maschinen könnten uns mit hilfreichen Lösungen unterstützen, aber nicht die menschlich kreative Tätigkeit ersetzen. Am Nachmittag war die Salamanca ansässige, freie Lektorin Pepa Cornejo zu Gast, die über ihren Werdegang als Übersetzerin zur Lektorin berichtete und die Unterschiede der Arbeitsschritte von Lektorat und Korrektorat erläuterte. Den Studierenden wurde so Einblick in den Arbeitsalltag und die finanziellen Rahmenbedingungen im Lektorat gewährt. Auch berichtete sie darüber, dass sie offensichtlich KI-generierte Manuskripte ablehne, da sie nur mit menschengemachten Texten arbeiten wolle. 

In verschiedener Weise wurden die Ergebnisse und Erkenntnisse der Woche einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So nahmen die beiden Student:innen Pedro Alba Rodríguez (USAL) und Jay Uhlemann (HHUD), gemeinsam mit den Dozent:innen, Übersetzer:innen und Manuel de la Cruz (Dozent USAL) in der Moderation, einen Podcast für die Radiosendung Don de Lenguas der USAL Übersetzungsfakultät auf. Dort tauschten sie sich über die Arbeit an den beiden Romanen aus sowie die Relevanz der KI für dieses Seminar und das Übersetzen selbst. Weiterhin wurde vom Fernsehsender der USAL ein Kurzvideo zum Seminar aufgenommen. Im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der öffentlichen Bibliothek Casa de las Conchas wurde am Samstag abschließend über die Erfahrungen aus dem Seminar berichtet und mit dem Publikum diskutiert. Friederike von Criegern und Ibon Zubiaur lasen Textausschnitte aus ihren Übersetzungen und anschließend kommentierten die Student:innen, vertreten durch Franziska Bergholtz, Remigio Palomba und Sara de las Heras Peño, die im Seminar gewonnenen Erkenntnisse zum Übersetzen von Literatur in Zeiten von KI. Es wurde dafür plädiert, die Verantwortung für ein womöglich schwindendes Sprachvermögen nicht nur der KI zuzuschreiben, sondern hier auch Lesende in den Blick zu nehmen: Denn nur wenn es einen Bedarf geben wird für anspruchsvolle Texte, werden die Fähigkeiten menschlicher Übersetzer:innen gebraucht. Es gehe um nicht weniger als das Kulturgut Sprache und Literatur. 

Neben der intellektuellen Auseinandersetzung mit Literatur und Übersetzen, diente diese Woche nicht zuletzt auch dem frühen Netzwerken unter Studierenden: In den Kaffeepausen wurde eifrig weiter diskutiert und am Donnerstagabend fand ein gemeinsamer Umtrunk im historischen Colegio Fonseca statt, wo sich alle bei reichlich Speisen und Getränken außerhalb der Universität austauschten und den Abend gemeinsam ausklingen lassen konnten. Die Studierenden aus Salamanca und Düsseldorf werden auch weit über das Seminar hinaus miteinander in Kontakt bleiben.

Eine Evaluation unter den teilnehmenden Studierenden bestätigte den Eindruck, dass der Kurs allen einen intensiven Einblick in den Zusammenhang von Übersetzen und KI gewährt hat. So gaben auch die meisten an, der Kurs habe ihren Blick auf die KI verändert. Allerdings erschien den meisten die Zeit zu knapp – was nicht verwundert, gibt es doch noch viel Erfahrung zu sammeln zum Thema des Seminars, das auch angesichts der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz nicht abschließend zu behandeln ist. Alle Teilnehmenden nahmen Abschied von Salamanca in der Hoffnung auf eine Fortsetzung dieser sowohl fachlich als auch menschlich bereichernden Erfahrung.

- Bericht von Catalina Romero und Vera Elisabeth Gerling